Über Ralf Stegner, das Wutbürgertum und Opfer ohne Lobby

Die Risiken und Nebenwirkungen sozialer Netzwerke bestehen vor allem in der ständigen Konfrontation mit Dingen, die man eigentlich nicht sehen oder hören will. Das sieht dann  beispielsweise so aus:


Source: https://twitter.com/Ralf_Stegner/status/683263519190585345


Erst war ich mir nicht ganz sicher, was ich bescheidener finden soll: Den Ausgangstweet mit hysterischem Weltuntergangs-Charme, dessen Absender ein wenig den Eindruck vermittelt, als fände er die verlinkte Meldung (30 - 40-fache sexuelle Belästigung zu Silvester in Köln, gemäß Polizeipressemeldung durch "nordafrikanisch Aussehende" begangen) und damit sexuelle Gewalt an sich nur dann schlimm, wenn das Opfer deutsch und die Täter nicht autochthon deutsch sind. Eher selten erzeugen dagegen Ehrenmorde vergleichbare Empörung - schätzungsweise, weil Geschädigte mit Migrationshintergrund nicht so gut zur eigenen Opfer-Pose passen. Der Kölner Fall hingegen eröffnet gewissen Kreisen die Möglichkeit, sich als größte Opfer (einer "korrupten Elite von Vaterlandsverrätern" beispielsweise) der ganzen Misere darzustellen. Die Hoffnung auf den großen "Zahltag" verleiht ihrem Leben einen Sinn.

Oder soll man sich doch lieber für die Antwort Ralf Stegners entscheiden? Die käme zwar ganz gut, wenn er hauptberuflich als Pegida-Blockierer aktiv wäre. Nachdem er aber als SPD-Vizechef auf Steuerzahlerkosten auch in Berlin wirkt, verursacht die ihm eigene Prioritätenskala doch leichte Magenschmerzen - zeugt sie letztlich nur davon, dass ihm die betreffende Nachricht mitsamt der Geschädigten an sich nicht eine Silbe wert und daher wohl eher wurscht ist. Auch für einen weiteren Tweet - nicht alles lässt sich in 140 Zeichen verpacken - zur Sache fehlte ihm offenbar die Zeit. Keine Antwort wäre da noch die bessere Antwort gewesen.

Bescheidener als beides zusammen ist allerdings die Tatsache, dass die Opfer solcher Gewalt keine Lobby haben. Vielleicht, weil sie im Allgemeinen nicht ausschließlich "blond und blauäugig" sind und erst recht nicht Workshops über die "Überwindung des Patriarchats" besuchen, sondern zunächst Teil der muslimischen Community sind. Schwestern, Cousinen, zwangsverheiratete Mädchen, an denen die "Ehre" der Familie hängt. Vor allem aber gehen sie irgendwo zwischen jenen Fronten verloren, am Rande derer sich Rechts und Links "Populist!!", "Wacht auf!!" und "Bloß nicht instrumentalisieren!" entgegenplärren. Beiden sind Frauen, die auf der Flucht, in Flüchtlingsunterkünften, in dritter Generation oder eben am Silvesterabend auf der Domplatte sexuelle Belästigung und Gewalt erleben, erstmal egal. Von links betrachtet existiert das Phänomen gar nicht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Es wird tabuisiert und folglich mehr und mehr von rechts okkupiert, wo man es natürlich hervorragend für die eigene Agenda nutzen kann. Besonders, wenn sich zu den üblichen Gerüchten über Flüchtlinge real existierende Straftaten wie die in Köln gesellen. In der Folge wird schon bloßes Reden über solche Fälle als "rechts" verbucht, eben weil niemand sonst darüber spricht. Woraufhin noch mehr Leute bei Pegida mitlaufen werden, und so weiter und sofort.

Da ist es beruhigend, dass in Deutschland wenigstens noch Politiker, Redakteure und Aktivisten existieren, die wochenlang einen Herrenwitz an der Bar skandalisieren, Begriffe wie "Bürger*innenkrieg" in die Welt setzen und für Frauenquoten in Chefetagen sorgen. Immerhin.


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